Sehr geehrte Richter, Geschworenen!

Ich bin ein Philosoph. Ein von meinen Vorbildern ist Sokrates.

Er hat in 399 vor Chr. vor dem Gericht in Athen eine vollkommene Verteidigungsrede, Apologie gehalten. Er war damals 70 Jahre alt. Auch ich könnte eine gute Apologie halten. Ich tue es aber nicht. Auch ich bin 70 Jahre alt.

Trotz dem wurde er zu Tode verurteilt, er musste den Schierlingsbecher austrinken. Auch ich werde verurteilt. Ich muss aber nur einen bitteren Becher austrinken.

Er wurde verurteilt, weil er mit „persona non grata “ Menschen im Kontakt war (z.B.: Alkibiades), Auch mit mir ist es so (z. B.: Herr Vogel, Dr. Berger). 

Sokrates ist nicht geflohen, weil er damit die Grundlage der Demokratie hinterfragt hätte.  Auch persönlich hätte er sein Gesicht verloren. Mit mir ist es nur ähnlich. Die Dogmen der österreichischen Staatsreligion lassen mich kalt, ich bin einer der nicht glaubt, ein Atheist, was die Staatsreligion betrifft.

Ich habe hier während dieser Woche viel gelernt:

Vor allem, dass der §3a mächtig und groß ist und ewig sein soll. In Österreich, frei nach Nietzsche, den alten Gott gibt es nicht mehr, aber „Gott sei Dank“, wie man sagt, wir sind nicht ohne Gott geblieben: der §3a hat den alten ersetzt.

Sokrates wurde vordergründlich Gotteslästerung, Gottlosigkeit vorgeworfen, betreffend die alten Götter. Bei mir ist es hintergründlich so, betreffend den neuen Gott.

Die Götter verlangen Opfer, mit Opfer können Sie gnädig gestimmt werden. Sokrates ließ ein Huhn für die Götter opfern (nach seinem Tod). Ich habe ein Geständnis aufgelesen (vor meinem Tod).

Die alten Griechen dachten, dass die Geschichte sich in Kreis dreht. Ein Funke von Wahrheit kann darin sein.

Ein anderes Vorbild ist Boetius, ein Patrizier aus Rom, gesellschaftlich sehr engagiert, - ich auch - der ca. 480 wegen angeblichen Hochverrats hingerichtet wurde. Er hat lange auf die Hinrichtung warten müssen. Ich musste nur jahrelang auf die Anklage warten. Im Gefängnis hat er sehr bedeutende Gedanken geschrieben, auf die persönliche Verantwortung, trotz Schicksal hingewiesen.  Ihn hat die Philosophie getröstet. Mich auch.

Ich werde von der Anklage des Hochverrats freigesprochen. Ich kann es kaum verstehen, warum.

Persönlich bin ich ein Fatalist. Ich bin überzeugt, dass wer hängen soll, wird nicht ertrinken, aber ganz sicher irgendwann hängen. Der, wer verurteilt werden soll, der wird verurteilt. Und das scheint mein Schicksal zu sein. So soll es sein.